Wir wissen wenig über ihn: Verbürgt sind seine Geburt in Vic-sur-Seille 1593 und sein Tod 1652 in Lunéville. Des Weiteren wissen wir, dass er Vater von elf Kindern war und viele streunende Hunde besaß. Er scheint einen schwierigen Charakter gehabt zu haben, sodass er mit Argwohn bedacht wurde; und doch war er ungeheuer erfolgreich und wurde im Jahr 1639 gar zum Hofmaler Ludwigs XIII. ernannt.
Die Werke Georges de La Tour gehören zu den wichtigsten künstlerischen Wiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts. Dieses Verdienst gebührt dem Kunsthistoriker Hermann Voss, der 1915 einen Artikel veröffentlichte, der das Genie dieses Malers anschaulich machte. Seitdem haben sich Generationen von Kunsthistorikern auf seine Spuren begeben, Dokumente, Gemälde und Skizzen studiert, um die Tätigkeit eines unkonventionellen, begeisternden und rätselhaften Künstlers zu rekonstruieren. In seinen Werken vermischen sich Spiritualität und Realismus, und Licht und Schatten erzeugen ein perfektes Gleichgewicht zwischen Brutalität und Zartheit. Die vom Maler porträtierten Menschen stammen sämtlich von der Straße: Es sind Engel aus dem Volk, Heilige ohne Schein oder ikonographische Attribute. De La Tour hat ein Faible für Bettler, für Menschen der niedrigsten gesellschaftlichen Stufe; mit historischen Modellen oder hochstehenden Persönlichkeiten kann und will er nichts anfangen. Seine Bilder entstehen fast alle im kleinen oder mittleren, häufig intimen Format ohne landschaftliche Hintergründe, sodass sie in der mutmaßlich letzten Phase seines Schaffens mit ihrer schlichten geometrischen und sehr modernen Anlage nahezu einfarbig wirken.
Die Schlägerei der Bettler
Das Experimentieren mit Licht ist ein zentrales Thema in der künstlerischen Arbeit
von Georges de La Tour.
Das Experimentieren mit Licht ist ein zentrales Thema in der künstlerischen Arbeit von Georges de La Tour. Tatsächlich sind sämtliche Werke des Malers von einem tiefen Kontrast zwischen Tag- und Nachtwelt gekennzeichnet. Auf der einen Seite gibt es die zum Tag gehörenden Themen, in denen realistisch-naturalistische Existenzen, mit von der Armut und dem unbarmherzigen Verstreichen der Zeit gezeichnetem Antlitz ungeschönt dargestellt werden. Demgegenüber stehen die Nachtstücke, in denen entrückt wirkende Figuren vom behaglichen Licht der Kerzen beschienen werden: Hier scheinen die Porträtierten in sich gekehrter, stiller, schweigsamer und gelöster und sind von einer geheimnisvollen Aura umgeben, die ihnen Zartheit und gleichzeitig eine nicht zur Schau gestellte Stärke verleiht. In seinen Werken erkundet Georges de La Tour eine Dichotomie, die sich zu einem starken Kontrast ausweitet: Es gibt eine konfliktreiche Welt, die schonungslos vom Licht der Sonne offengelegt wird, aber auch ihr Gegenteil. Die Nacht erbarmt sich der Menschen und gönnt ihnen eine Pause von der Grausamkeit des Tages. Der komplexe Umgang mit Farbtönen ist Thema der Ausstellung „Georges de La Tour. L’Europa della luce“ ab dem 7. Juni 2020 im Mailänder Palazzo Reale. In der von Francesca Cappelletti und Thomas Clement Salomon kuratierten Ausstellung, der ersten in Italien zum französischen Künstler, wird seiner Experimentierfreudigkeit und seinem Verhältnis zu den großen Meistern seiner Zeit in den europäischen Zentren nachgegangen, die La Tour entweder kannte oder mit denen wechselseitige Einflüsse belegt sind. Es handelt sich um eine Premiere: In ganz Italien wird kein einziges Bild des Künstlers aufbewahrt, während die Ausstellung gleich 15 der insgesamt ihm zugeschriebenen 40 Werken zeigt.
Die Wiederentdeckung der Malerei von Georges de La Tour ist nicht nur eine Neuheit im Mailänder Ausstellungskalender, sondern hat in den letzten Jahrzehnten auch das Kino beeinflusst.
So hat Peter Greenaway erklärt, dass die Werke des französischen Malers ihn zu seinem Film Der Kontrakt des Zeichners (The Draughtsman's Contract) inspiriert haben. Der 1982 erschienene Film spielt im Jahr 1694 im Landsitz der reichen Aristokratenfamilie Herbert auf dem englischen Land. In den Werken von de La Tour (wie auch in denen anderer Meister des Barock wie Rembrandt und van Honthorst) enthüllen uns die Licht- und Schattenspiele Wahrheiten und Halbwahrheiten, derer sich die Porträtierten, die in alltäglichen und intimen Momenten gezeigt werden, selbst nicht bewusst sind. Dasselbe Konzept liegt der Handlung von Der Kontrakt des Zeichners zugrunde: Die handelnden Personen finden sich, bewusst oder unbewusst, plötzlich im Zentrum eines Geflechts aus unklaren Beziehungen, Manipulationen und Lügen. Es erscheint daher nur natürlich, dass sich Greenaway an Georges de La Tour inspirierte, um mit Kerzen einige der Schlüsselszenen des Films auszuleuchten und gar die Komposition einiger Meisterwerke des französischen Malers nachzustellen, die ausdrücklich zitiert werden, wie Magdalena mit der Öllampe und Büßende Magdalena.
Die Werke de La Tours haben auch andere filmische Interpretationen erhalten: Sie erschienen in Dinner für Spinner (Le Dîner de Cons) von Francis Veber, in Eine Affäre in Paris (Le Divorce) von James Ivory und sogar in der Schatzhöhle im Zeichentrickfilm Arielle, die Meerjungfrau.