Ob Bibel, Upanishaden, Koran: Alle Buchreligionen sehen im Licht den positiven Pol eines Binoms, an dessen anderem Ende das Dunkel steht.
In der westlichen Philosophie ist diese Vorstellung einer Zweiteilung der Welt seit Anaximander belegt und hatte durchschlagenden Erfolg, um auch unsere Vorstellungswelt tief zu prägen.
Seit je her steht das Licht für Leben und Wiedergeburt, während das Dunkel uns Vorstellungen von Tod, Schmerz, Vergessen vermittelt. Diese Antinomie ist auch ein zentrales Thema in der Fantasy-Literatur, vom Herrn der Ringe von Tolkien bis zu Game of Thrones
In der von HBO produzierten und in Italien on demand auf Sky und in Streaming auf NOW TV ausgestrahlten Serie, die in 8 Staffeln 128 Nominations für die Emmys erhalten und immerhin 47 gewinnen konnte, kommt dem Gegensatz zwischen Licht und Schatten eine grundlegende Bedeutung zu, vor allem in der letzten Staffel.
Die White Walkers mit ihrem Heer aus untoten Kriegern unter Führung des Night King, das an die Grenzen des Nordens drückt, wollen nach achthundert Jahren die Long Night nach Westeros zurückbringen, eine Epoche der Kälte und Dunkelheit, der Zerstörung und des Todes. Daenerys Targaryen und Jon Snow führen eine Streitmacht der Allianz zur Rettung von Westeros aus den Klauen der Dunkelheit.
Courtesy of HBO
Die finale Schlacht mit den White Walkers erfolgt in der dritten Folge der letzten Staffel mit dem Titel The Long Night: Buchstäblich fällt die Dunkelheit auf Winterfell, die Hauptstadt des Nordens, und die Untoten marschieren auf die Stadt zu.
In dieser Folge wird der Konflikt optisch mit den Mitteln der Fotografie thematisiert. Neben der Schlacht der beiden Heere tobt der Krieg zwischen Licht und Finsternis: Die mit den White Walkers einhergehende Dunkelheit scheint alles aufzusaugen und zu verschlucken; ihr widersetzt sich das vom Feuer ausstrahlende Licht, das die Belagerten sowohl zur Aufhellung der langen Kriegsnacht als auch als (temporären) Schutzwall nutzen.
Eine Szene zeigt diesen Kampf besonders intensiv: Der Sturmlauf der Dothraki-Kavallerie, die den Beginn der Schlacht markiert. Das Heer der Verteidiger ist außerhalb der Stadtmauern von Winterfell aufgestellt. Vor ihren Augen nur Finsternis, die die Armee der White Walkers verbirgt. Die Spannung des bangen Wartens wird von Lady Melisandre durchbrochen, die Priesterin des Lichtgottes, die den Dothraki die Macht des Feuers schenkt: Die Klingen ihrer Säbel hüllen sich in Flammen und die Szene, die zuvor von einem unheilvollen Dunkel dominiert wurde, wird nun von Hunderten von Fackeln erleuchtet. Dieses wunderbare Ereignis spornt die Reiter an, die mit Kriegsgebrüll zum Sturmlauf ansetzen, und entfacht nicht nur die Hoffnung der Verteidiger von Winterfell, sondern auch die der Zuschauer. Eine Einstellung in Vogelschau verleiht dieser Szene noch mehr Epik und Dramatik. Nun sind es nicht mehr zwei Heere, die sich gegenüberstehen, sondern das Gute und das Böse, das Licht und die Dunkelheit.
Neben der Schlacht der beiden Heere tobt der Krieg zwischen Licht und Finsternis
Es hat den Anschein, als würde die Macht des Lichts obsiegen, aber fast unverzüglich sehen wir die Lichter erlöschen, verschluckt von der Dunkelheit: Die Dothraki werden aufgerieben, ihr Kriegsgebrüll verhallt. Die Schatten kriechen wieder über die gesamte Bildfläche und schüren die Urängste der Menschen: Die Angst vor der Dunkelheit, die wir in der Kindheit erfahren, und die uns seit Anbeginn aller Zeiten begleitet.
Nun ist es an den White Walkers, ihrerseits zum frontalen Angriff auf die Mauern von Winterfell überzugehen. Die Schlacht scheint entschieden, aber die Hoffnung keimt durch eine heldenhafte Tat von Melisandre wieder auf: Auge in Auge mit den untoten Kreaturen ruft sie den Gott des Lichts an, die Palisaden der Zitadelle zu entzünden, um so dem Vormarsch der Schatten Einhalt zu gebieten und Daenerys und ihren Drachen den Mittelpunkt der Schlacht zu bezeichnen.
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Viele haben der Wahl der Regisseure, den Krieg zwischen Dunkelheit und Licht so scharf auszuprägen, nicht-narrative Motivationen unterstellt, wie fehlendes Budget und Verzögerungen bei den Produktionsfristen.
Allerdings sind alle Voraussetzungen für eine so radikale Umsetzung gegeben: Ziel der White Walkers ist die Rückkehr der Long Night, eine Bedrohung, die über Westeros seit der ersten Folge der Serie hängt; die Dunkelheit ist das prägende Element dieses katastrophalen Ereignisses, gegen das die Hauptdarsteller ankämpfen und das metaphorisch für die Angst vor der Vergessenheit und ewiger Bewusstlosigkeit steht; nicht zufällig ist Brian, der nunmehr in allen Zeitdimensionen sieht und daher Gedächtnis und Bewusstsein der Menschheit von Game of Thrones ist, das eigentliche Ziel des Night King. Denn im Grunde ist die Angst vor ewiger Dunkelheit etwas, das alle Menschen gemeinsam haben, etwas, das uns von Kindesbeinen an bedrängt: Auch das macht Game of Thrones zu einer derart universalen und mitreißenden Erzählung.