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Dieses Licht in den Augen, das den Blick fesselt

Interview mit Jorit, Urban Artist

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Published: 10 Jun 2020
“Wenn du in Scampia in Neapel eine Blume an eine Hauswand malst, ist das vielleicht schön, erfüllt für mich nach aber keinen Nutzen”, meint Jorit, international gefeierter italienischer Urban Artist im Hinblick auf das kommunikative und soziale Potenzial der Street Art. “Ich glaube nicht, dass die Bewohner eines sozial benachteiligten Stadtteils wirklich ein Gemälde auf einem heruntergekommenen Gebäude brauchen. Mit meinen Bildern verfolge ich eher das Ziel, das Bewusstsein der Menschen zu bereichern“, so Jorit weiter. Im Problemviertel Scampia von Neapel hat Jorit im Januar 2019 riesige Gemälde von Pier Paolo Pasolini und Angela Davis auf den Blindfassaden zweier Häuserblöcke realisiert, um damit zwei Symbolfiguren der politischen und philosophischen Auseinandersetzung und Philosophie in den Blickpunkt zu rücken. Auch wer in sozial konfliktreichen Vierteln wohnt, so Jorit, muss die Möglichkeit haben, ein würdevolles Leben zu führen und sich als Individuum und als Kollektiv befreien zu können.

Pier Paolo Pasolini und Angela Davis in Scampia

Die künstlerische Laufbahn von Jorit begann nicht zufällig vor etwa fünfzehn Jahren in den nördlichen Peripherien und der Altstadt Neapels. Mit der Zeit hat er einen unverwechselbaren Stil und eine schlüssige und mutige Auswahl von Sujets für seine gigantischen Murales gefunden, die er auf der ganzen Welt realisiert. Ungeachtet der Huldigungen von Kritikern und Museen bleibt sein Ansatz der Idee verbunden, dass Street Art eine Botschaft zu vermitteln hat, kostenlos sein muss und aus einer tiefen Verbundenheit zwischen Künstler und den Bewohner des Viertels entstehen muss. „Ich glaube, Künstler haben Verantwortung zu übernehmen, ansonsten haben sie eine Chance vertan.“

Auch während des Covid-19-Lockdowns hat Jorit neben einer spektakulären „Negativ“- Porträtserie auf den Dächern des Stadtteils Barra in Neapel mit einem Portrait auf Leinwand des neapolitanischen Arztes Paolo Ascierto zu einer Wohltätigkeitsversteigerung zugunsten der Unterstützung von Krankenhäusern in der Region beigetragen.
Ungeachtet der Huldigungen von Kritikern und Museen bleibt sein Ansatz der Idee verbunden, dass Street Art eine Botschaft zu vermitteln hat, kostenlos sein muss und aus einer tiefen Verbundenheit zwischen Künstler und den Bewohner des Viertels entstehen muss. „Ich glaube, Künstler haben Verantwortung zu übernehmen, ansonsten haben sie eine Chance vertan.“
Im Werk eines Street-Porträtisten kann die Rolle des Lichts gar nicht groß genug geschätzt werden: Neben dem „inneren“ Licht des Bildes, das aus der Verwendung der Farben und dem Hell-Dunkel-Kontrast entsteht, die die Formen modellieren und die Illusion der Dreidimensionalität schaffen, muss auch das „äußere“ Licht berücksichtigt werden, also Kunst- und Naturlicht, das die Hauswand im Laufe eines Tages illuminiert. Auch in Ausstellungen und Kunstgalerien achten Künstler sehr darauf, dass die Beleuchtung ihren Werken angemessen ist und veranlassen eventuell ihre Umsetzung; ein Bild auf einem Gebäude kann seinen Ort aber nach Fertigstellung nicht mehr verändern.

„Das ist tatsächlich ein ziemlich komplexes Thema“, sagt Jorit. „Für mich, der ich immer schwarze Grundierungen verwende, ist das Licht manchmal auch ein Problem, denn es kann Reflexe erzeugen, wenn es aus der falschen Richtung kommt: So sehen wir urplötzlich weiße statt schwarze Pupillen, ein normales Gesicht wird zur Fratze, mit Augen, die in der Nacht wie die von Wölfen blitzen.“ Nicht Verzicht auf Beleuchtung bildet die Lösung zu diesem Problem, sondern die Wahl des richtigen Lichts: „In Florenz, wo ich ein Portrait von Nelson Mandela angefertigt habe, hat die Stadt Strahler aufgestellt, so dass das Werk gut lesbar ist, jedenfalls sieht das auf den Fotos so aus. Im Allgemeinen schätze ich die nächtliche Illumination von Street Art-Werken: Neben der ästhetischen Verbesserung können sie so zu Orten der Geselligkeit und zu Wahrzeichen werden. Ich fände es schön, wenn diese Haltung öfter von den Stellen eingenommen würde, mit denen ich zusammenarbeite.“

Ein Zeitraffer-Video zur Entstehungsgeschichte des Nelson Mandela-Portraits in Florenz

Unser Blick als Passanten wird von Schaufenstern, Reklame, Verkehrsschildern, aber auch von Smartphone-Displays in Anspruch genommen; Aufmerksamkeit im Straßenbild zu erregen ist heute schwierig geworden. Jorits Technik, riesige Gesichter im Vordergrund auf schwarzem Grund zu malen, ist auch dieser Tatsache geschuldet: „Meine Technik bildete sich zwar eher unbewusst heraus, aber ich spürte, dass ein Gesicht das kommunikativste Element überhaupt darstellt“, erzählt er. „Ich mochte Gesichter und Augen, und fühlte, dass sie halfen, eine Bindung zu den Personen zu schaffen. Gesichter ziehen den Betrachter in ihren Bann, man kann nicht einfach an ihnen vorübergehen, auch für nur Bruchteile von Sekunden packen sie dich. Der Betrachter ist gezwungen, hinzuschauen und sich Fragen zu stellen. Mit der Zeit habe ich jedoch die Technik perfektioniert und mich mehr und mehr dem Realismus und speziell dieser Form des Neorealismus in der Street Art zugewandt.“

Auch die „Gallery“ der von Jorit porträtierten Persönlichkeiten – ein Pantheon aus Aktivisten, Intellektuellen, Ikonen des kulturellen Untergrunds – scheint Frucht eines langfristigeren Projekts zu sein, ist aber tatsächlich aus dem Augenblick geboren: „Jedes Projekt hat seine eigene Geschichte“, erläutert er, „es gibt keinen geradlinigen Verlauf. Vielleicht wirkt es von außen so, als bewegte ich mich auf einer bereits trassierten Straße, auf der ich nur mal mehr, mal weniger Gas geben muss. In Wirklichkeit gibt es für einen wie mich, der dieses Metier mit großer Leidenschaft ausübt, keinen abgesteckten Weg: Ich habe ihn mir selbst ausdenken müssen, wie es mein Vorbild Banksy getan hat.“