„Das Licht ist immer bedeutungsschwer in der westlichen Malerei“, sagt Stefano Casciu, Leiter des Polo museale della Toscana, „so naturalistisch es auch wirken mag, denn die Malerei bleibt eine gänzlich geistige Konstruktion - eine Abstraktion - so dass das dem Gemälde innewohnende Licht, ob diffus oder ausgerichtet, immer eine Bedeutung in sich trägt. Im Allgemeinen erschloss sich diese Bedeutung den Zeitgenossen stets unmittelbar; aber für uns Heutige gilt das nicht mehr so sehr, wir müssen über die notwendigen Interpretationscodes verfügen und neigen dazu, zu vergessen, dass das Licht der Hervorhebung von Etwas (und nicht etwas anderem) dient.“
2009 war Casciu eine der treibenden Kräfte bei der Gründung des
Museo della Natura Morta im Ort Villa di Poggio a Caiano (PO). Wir haben ihn interviewt, um die Rolle des Lichts im Stillleben zu ergründen, ein Genre, das viele Meisterwerke hervorgebracht hat und dennoch lange Zeit von der akademischen Kritik unterschätzt worden ist.
Michelangelo da Campidoglio, Natura morta con frutta e vaso con rose e tuberosa,
ca. 1650- 1669, Poggio a Caiano, Museo della Natura Morta
Historisch kommt das Stillleben als eigene Kunstgattung am Ende des 16. Jahrhunderts auf. Einer der ersten großen Künstler von Stillleben war Caravaggio, der mit seinem an Kontrasten reichen Stil aus Licht und Schatten die später von Schülern und Anhängern geschaffenen Werke maßgeblich prägte. Von Caravaggio gibt es ein Stillleben, das zu den berühmtesten überhaupt gehört, die “Canestra di frutta“ (Obstkorb), gemalt für Kardinal Federico Borromeo am Ende des 16. Jahrhunderts und heute in der Mailänder Pinacoteca Ambrosiana aufbewahrt. “Es steht sinnbildlich für die Vergänglichkeit der Schönheit”, erläutert Casciu, durch “das Obst mit den faulen Stellen, dem Wurmfraß, den eingerollten Blättern”; der Verfall beschwört “das Empfinden für das Verstreichen der Zeit und des kommenden Todes”. Das die Szene erhellende Licht verleiht dieser geschauten Wahrheit kein fröhlicheres Antlitz, sondern hebt im Gegenteil ihre Details hervor.
Caravaggio, Basket of Fruit, 1594/1598, Milan,Pinacoteca Ambrosiana
Anfangs gab es auch eine Strömung von Stillleben religiöser Natur, in denen das Licht häufig gleichbedeutend mit der Gnade war und Ranken, Weintrauben, Granatäpfel, Brot und andere Symbole der Eucharistie illuminierte. Aber „bereits in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts verliert sich der symbolische und metaphorische Aspekt zugunsten des barocken, stark visuellen Aspekts“, sagt Casciu; „was hier zählt ist die Wiedergabe der Wirklichkeit, der Schönheit der Natur.“ Dies hatte auch mit den Auftraggebern zu tun. Denn aus einem „experimentellen Genre, das in kulturbeflissenen Kreisen entstand und häufig mit herausragenden Persönlichkeiten einer Stadt verbunden wurde“, fand das Stillleben in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in immer breiteren Bevölkerungsschichten Anklang.“ In den Adelspalästen fügen sich diese Gemälde perfekt in das prächtig verzierte barocke Interieur ein, und ihre Bedeutung „wird zweitrangig.“
Jan Brueghel der Jüngere und Jan Brueghel der Ältere,
auch Samtbrueghel genannt Blumenvase, ca. 1620 Poggio a Caiano,
Museo della Natura Morta
Ein weiterer wichtiger Ausgangspunkt für das Aufkommen von Stillleben bilden neben der Caravaggio-Strömung die Malerei der flämischen Schule - von deren Künstlern einige auch in Rom arbeiteten, wie Jan Bruegel und Christian Berentz - welche in den Worten Cascius „Theaterbühnen“ kreierten, in denen zartes Licht Früchte, Blumen und andere Elemente des Bildes beleuchtete, um jedes Detail hervortreten zu lassen. „Das holländische und flämische Stillleben, das im Zuge der nordeuropäischen Malerei entsteht, achtet mit der Ölmalerei sehr auf die Wiedergabe der Details, der Flächen. Lichtreflexe und -spiele werden akkurat ins Bild transponiert, gewissermaßen um anschaulich zu machen, das in der Natur Geschaute getreulich einzufangen.“
Wenn er zwei Bilder benennen sollte, die die mehr oder wichtige Rolle des Lichts im Stillleben zum Ausdruck bringen, würde Casciu die „Fiasca fiorita“ (Tommaso Salini zugeschrieben) und „Die Traubenpflückerin“ von Christian Berentz und Carlo Maratta anführen.
Tommaso Salini (?), Fiasca fiorita, ca. 1610-15, Forlì, Pinacoteca civica
Das erste Gemälde stammt aus der Zeit zwischen 1610 und 1615 und wird heute in der Pinacoteca Civica von Forlì gezeigt. Dargestellt ist eine Feldflasche, aus deren abgebrochenem Hals ein Strauß gelber, himmelblauer, roter und weißer Blumen ragt. “Vor dem sehr dunklen Hintergrund”, so Casciu, schälen sich Blumen und Flasche mit einer sehr starken Präsenz heraus, die das Licht noch steigert. Hier ist die allegorische Bedeutung nicht so unmittelbar, aber der Blumenstrauß kann ganz allgemein die Vergänglichkeit der Schönheit ausdrücken, da Blumen nur kurze Dauer beschieden ist und sie im Bild in der höchsten Blüte stehen, aber in sich die Vorstellung tragen, in ein paar Stunden verblüht zu sein.“
Das Gemälde von Berentz und Maratta dagegen, aus dem Jahr 1696 und im Museo di Capodimonte in Neapel zu sehen, ist “eines der großen Werke des späten römischen 17. Jahrhunderts mit Kaskaden von Früchten und Blüten; obwohl von höchstem künstlerischen Rang kommt dem Licht kein allegorischer Wert zu.“ Zwei menschliche Figuren, eher ungewöhnlich für dieses Genre, sind zu sehen, allerdings nur von hinten bzw. im Schatten, aber sie erzeugen keine Narration und das Bild verbleibt in den Grenzen seiner Gesetzmäßigkeiten.
Christian Berentz and Carlo Maratta, Fiori e frutta con donna che coglie l’uva,
1696, Naples, Museo di Capodimonte
Auch auf Bildern, die keine „versteckten“ Leseebenen besitzen, kann die Wiedergabe der Natur mit größter Präzision eine grundlegende Rolle des Lichts als quasi wissenschaftliches Element beinhalten. “Man denke zum Beispiel an Evaristo Baschenis, einem Maler von Stillleben von Musikinstrumenten: Er malte diese Instrumente in mehr oder weniger aufwändigen Kompositionen in hundertprozentiger Übereinstimmung mit den Modellen”, so dass sogar einige der von ihm porträtierten Einzelstücke wiedererkannt wurden. “Man kann den Staub auf der Oberfläche sehen”, hervorgehoben etwa durch einen Fingerabdruck auf einer Laute.
Christian Berentz and Carlo Maratta, Fiori e frutta con donna che coglie l’uva,
1696, Naples, Museo di Capodimonte
„In den toskanischen oder lombardischen Schulen ist die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft stärker; in anderen, wie der venezianischen, neapolitanischen und römischen Schule des ausgehenden 17. Jahrhunderts, ist es der dekorative Aspekt. Die neapolitanische Schule achtet zum Beispiel sehr auf die unmittelbare und angenehme Wirkung der Farbe und der Fülle der Früchte als auf deren Exaktheit. Es ist eine sehr klar verständliche Welt.“
Der Realismus in der Wiedergabe der Blumen, Blätter und Früchte (aber auch der sich an ihnen labenden Insekten) durch die Farben, Formen, Strukturen und - später vor allem - der Wahl des Lichts, waren Instrumente der botanischen Dokumentation für die Höfe und wurden zu wichtigen historischen Zeugnissen für uns Heutige.“ In Florenz dagegen, wo der Einfluss Galileos stark war, „hegte der Hof der Medici ein starkes Interesse für das Experimentieren und die Reproduktion der Natur zu wissenschaftlichen Zwecken“, erläutert Casciu.
Bartolomeo Bimbi, Melangoli, cedri e limoni, 1715 Poggio a Caiano,
Museo della Natura Morta
So war beispielsweise „Bartolomeo Bimbi ein Maler mit einer außerordentlichen Gabe für die Nachbildung verschiedener Blumen- und Obstgattungen und hinterließ uns große Gemälde von allen im Großherzogtum Toskana in einem Jahr produzierten Sorten - sämtliche Arten von Weintrauben, Birnen, Pflaumen und Pfirsichen - und jede einzelne Birne ist mit der Präzision einer wissenschaftlichen Darstellung gemalt. So konnten Botaniker und Entomologen in seinen Bildern Sorten ermitteln, die heute sehr selten oder ausgestorben sind, und der Forschungsrat Italiens CNR hat einen sehr interessanten Beitrag zu diesem Thema veröffentlicht.“