Eine seltsame Empfindung, die Einsamkeit: Manchmal fühlt man sich inmitten einer Gruppe von Freunden allein, ist jedoch einsam sich selbst genug. Vieles hängt von der Art ab, wie wir unseren Zustand uns selbst darstellen: Ob wir uns isoliert oder anderen verbunden fühlen, oder ob wir uns einbilden, in der Not unterstützt oder im Stich gelassen zu werden. Ob realistisch oder nicht, die Vorstellung beeinflusst schließlich unseren Gemütszustand und unser Verhalten. Eine Szene aus dem Film The Favourite von Yorgos Lanthimos erzählt durch den Einsatz des Lichts den Augenblick, in dem eine der Protagonistinnen sich plötzlich allein fühlt und stellt den Charakter so dar, wie er sich selbst wahrnimmt.
Eine seltsame Empfindung, die Einsamkeit: Manchmal fühlt man sich inmitten einer Gruppe von Freunden allein, ist jedoch einsam sich selbst genug.
Es ist tiefste Nacht. Wir sehen Sarah Churchill (Rachel Weisz), Ratgeberin und Liebhaberin von Königin Anna (Olivia Colman, Oscarpreisträgerin 2019 für die beste weibliche Hauptrolle) den Geheimgang entlanglaufen, der ihre Kammer mit der der Königin verbindet. In der Hand hält sie eine Kerze, die ihren Oberkörper und das Gesicht illuminiert, während alles andere ringsherum im vollständigen Dunkel verbleibt; ein unrealistisches Dunkel, denn das Licht einer Kerze hätte in der realen Welt unweigerlich die Wände eines so engen Stollens erhellt. Sarah erscheint allein vor einem pechschwarzen Hintergrund, aber bis zu diesem Augenblick hat sie sich in ihrer Einsamkeit als politische macchiavellistische Strategin mit dem sicheren Gang des Menschen bewegt, dem das Ränkeschmieden zur Lebensaufgabe geworden ist. Als sie die Kammer der Königin betritt, wartet eine Überraschung auf sie, findet sie doch Anna im Bett mit ihrer persönlichen Assistentin Abigail (Emma Stone). Zwei Bildausschnitte wechseln sich ab: Eine halbnahe Einstellung der augenscheinlich erschütterten Sarah, und eine subjektive Einstellung, in der wir die beiden anderen Frauen umarmt schlafen sehen. Auf diese Weise erblicken wir Sarah allein, Anna und Abigail als Paar; hätte Lanthimos beschlossen, die drei Frauen gemeinsam abzubilden, wäre der Effekt nicht zum Tragen gekommen. Dabei ist die Lichtquelle immer noch die Kerze, aber sie beleuchtet nun Sarah weit weniger als Anna und Abigail, obwohl beide weiter entfernt sind.
Rachel Weisz and Joe Alwyn dancing in The Favourite. Photographer: Atsushi Nishijima. © 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation, All rights reserved
Die Suche nach einem emotionalen und symbolischen anstatt realistischen Effekt wirkt in dem Moment fast entfremdend, in dem sich Sarah umdreht und davongeht; sie hält die Kerze vor sich, die aber keinen Schatten auf Anna und Abigail wirft. Erneut läuft sie den pechschwarzen geheimen Tunnel entlang, dieses Mal jedoch unsicher und in einer Einsamkeit befangen, die sie nicht gewohnt ist: In Ungnade zu fallen bedroht ihre Pläne und Machtspiele. In einer kurzen, scheinbar schlichten Szene ohne Dialoge ist es dem Regisseur Yorgos Lanthimos und dem Bildregisseur Robbie Ryan gelungen, eine zentrale Wende im Film zu markieren und subtile Details zu Sarahs Charakter zu verdichten. Wie in jedem großen Kunstwerk weist es über sich hinaus und zeigt uns implizit auf, wie unser Verhältnis zur Einsamkeit entsteht oder sich entwickelt, nämlich als Folge des Verlustes dessen, was wir als unseren Platz in der Welt angesehen haben.
Olivia Colman in The Favourite. Fotograf: Atsushi Nishijima. © 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation, Alle Rechte vorbehalten