Wir wissen, dass die Lichtbedingungen der heutigen Welt, auch aufgrund der Neigung,
hinterleuchtete Bildschirm bis spät in die Nacht anzustarren, die Melatonin-Produktion in unserem Körper beeinflusst und bei vielen Menschen eine Verschiebung des Schlaf- Wachrhythmus und damit eine Zunahme des Risikos von Diabetes, Dickleibigkeit, Herz- Kreislauferkrankungen, Tumoren und depressiven Störungen bewirkt. Wir wissen, dass Lighting Designer und Architekten damit beginnen, Gebäude und Lichtanlagen zu planen, die unsere
Biorhythmen nicht durcheinanderbringen, sondern begleiten. Aber der Biorhythmus ist nicht derselbe für alle: Wir müssen uns zur Beziehung zwischen der individuellen circadianen Uhr und den von der Gesellschaft aufgestellten Zeiten befragen.
Um dieses Thema zu vertiefen, haben wir Professor Till Roenneberg interviewt, Chronobiologe beim Institut für Klinische Psychologie an der Münchner Ludwig-Maximilians- Universität, der auch Sachbücher dazu schreibt
Das Recht auf Schlaf : Eine Kampfschrift für den Schlaf und ein Nachruf auf den Wecker (dtv, 2015).
Was ist ein Chronotyp? Ist er genetisch oder hängt er von externen Faktoren ab?
Die Chronotypen sind Ausdruck der circadianischen Uhr, einem grundlegenden biologischen „Programm“, das wir in allen Organismen bis hin zu den
Cyanobakterien finden. Nun hängen grundlegende biologische Programme aber nahezu nie allein von der reinen Genetik oder von einzelnen Umweltfaktoren ab. Denken Sie zum Beispiel an die Größe. Die genetische Komponente ist stark: Wenn Ihre Mutter und Ihr Vater sehr groß waren, dann sind Sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch, aber es ist nicht zwingend so. Wenn man zum Beispiel im Krieg geboren wurde und Mangel erlitten hat, werden Sie vielleicht nicht sehr groß, aber unter gleichen Bedingungen immer noch größer als jemand, der kleinere Eltern als Sie hatte. Genauso ist der Chronotyp gleichzeitig von Genetik und Umgebungsfaktoren bedingt.
Wie werden Chronotypen klassifiziert?
Es gibt nicht nur zwei Typen - die Lerchen und die Eulen - sondern ein ganzes Spektrum. Genau wie es wenige sehr große, wenige sehr kleine Menschen gibt, und die meisten Menschen sich zwischen diesen beiden Extremen befinden, gibt es auch ein großes Spektrum unter den Chronotypen, bei dem die „Lerchen“ und die „Eulen“ nur die Extreme abbilden.
Erreicht der individuelle Chronotyp irgendwann eine Stabilität oder kann er sich verändern?
Das Suffix „-typ“ im Wort „Chronotyp“ ist irreführend, scheint es sich doch eher auf statische Charakteristiken zu beziehen, wie blaue Augen, schwarze Haare oder schwarze Haut bei einem Erwachsenen. Natürlich gibt es eine feste genetische Komponente, aber der Chronotyp kann sich entsprechend der Umweltfaktoren stark ändern. Der circadiane Rhythmus ist mit dem Licht-Dunkelheit-Zyklus synchronisiert. Wenn man die eigene Exposition gegenüber dem Licht ändert, führt dies auch zur Änderung des eigenen Chronotyps. Die biologischen Rhythmen einer bestimmten Personengruppe werden sich in die Abend- oder Morgenstunden verschieben, je nachdem, ob diese Gruppe in der Stadt oder auf dem Land lebt.
Bewirken einige Chronotypen Schlafstörungen?
Ich lebe auf einem ehemaligen Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert. Die Türen sind sehr niedrig, da die Menschen damals sehr viel kleiner waren als heute. Wenn man groß ist, kann man sich leicht den Kopf am Türrahmen stoßen und sich wehtun, aber deshalb ist man noch nicht krank: Die Wechselwirkung zwischen Ihrer Größe und den Türen erzeugt schlicht Probleme. Mit den Chronotypen verhält es sich ähnlich. Wenn eine bestimmter Person innerhalb der eigenen „biologischen Zeitzone“ (im Einklang mit seinem eigenen Chronotyp) lebt, erleidet sie keine Schlafstörungen und wird kaum zu Depressionen oder anderen Krankheiten neigen. Ist er dagegen gezwungen, gegenüber seiner eigenen Zeitzone verschoben zu leben (im Konflikt mit seinem eigenen Chronotyp), wird eine Spannung erzeugt, die sich zunächst in Schlafstörungen äußert und dann zu einer größeren Wahrscheinlichkeit führt, Krebserkrankungen oder andere Probleme auszubilden. Um den Kontrast zwischen den gesellschaftlich auferlegten Rhythmen und denen unseres Körpers zu markieren, haben wir den Begriff des “sozialen Jetlags” geprägt - eine Quantifizierung der Inkongruenz zwischen circadianem Rhythmus und sozialer Uhr. Das ist der Grund, weshalb Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erkranken.
Meinen Sie mit „Quantifizierung“, dass der soziale Jetlag gemessen werden kann?
Ja, er entspricht der Differenz zwischen den Uhrzeiten, in denen wir unter der Woche schlafen, und den Zeiten, in denen wir am Wochenende schlafen. Je größer die Menge an Stunden und Minuten sozialen Jetlags des Individuums desto höher die Wahrscheinlichkeit, Schlafstörungen oder andere damit verbundene Probleme auszubilden. Zur Berechnung des sozialen Jetlags haben wir den Begriff der „Schlafmitte“ eingeführt, der in der Nacht gelegene Zeitpunkt, der auf die Hälfte des eigenen Schlafs liegt. Wenn Sie zum Beispiel von Mitternacht bis 8:00 Uhr schlafen, liegt Ihre Schlafmitte um 4:00 Uhr, wenn Sie von 22:00 bis 6:00 Uhr schlafen, haben Sie dieselbe Zahl an Stunden geruht, Ihre Schlafmitte ist aber um 2:00 Uhr. Der soziale Jetlag entspricht der Differenz aus der Schlafmitte am Wochenende und der Schlafmitte unter der Arbeitswoche.