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Lighthinking

Die letzten sternklaren Himmel Europas

Interview mit Irene Borgna, Autorin von Cieli neri

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Published: 3 Aug 2021
“Eine Reise von den Seealpen bis zur Nordsee auf der Suche nach Orten, wo die Nacht noch nicht gänzlich von den Lichtern der Straßen und Städte erstickt wurde, auf der Jagd nach Geschichten, die sich unter den letzten sternklaren Himmeln Europas begeben:“ Cieli neri, im Verlag Ponte alle Grazie erschienen, ist das Tagebuch jener Reise, die Irene Borgna im Sommer 2019 im Camper zusammen mit ihrem Freund Emanuele und der Hündin Kira angetreten hat.

Um einen fast vollständig intakten Himmel betrachten zu können, in dem man so viele Sterne wie möglich sieht, muss man ringsherum in einem Radius von fast 200 Kilometern Dunkelheit haben, was in Europa nur sehr selten der Fall ist. So erzählt uns Borgnas Buch auch von isolierten, schwierig zu erreichenden Orten, manche verlassen oder dem Menschen aus dem oder einen anderen Grund verschlossen. Was sie umso faszinierender macht.

Aber wenn man nur an ein Tagebuch denkt, tut man Cieli neri Unrecht, das in Teilen journalistischer Reportage ähnelt, dann wieder Züge eines Sachbuchs zum Thema Lichtsmog und Überlegungen zu Sinn und Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements zur Verteidigung der sternklaren Nacht enthält: “Als Anthropologin bin ich für die extreme Mischrasse”, sagt Borgna, “und die Mischung literarischer Stile hat mir sehr gefallen.“
Die letzten sternklaren Himmel Europas

Die Karte mit den Stationen der Reise in Cieli neri. Karte von Diego Viada.
Für die Bilder danken wir Irene Borgna.

Das Buch nimmt den Leser mit auf eine, oft auch persönliche, Bildungsreise in die Natur und lässt ihn die Folgen der Lichtverschmutzung nachspüren. “Als wir losfuhren, wusste ich von diesem Thema herzlich wenig”, räumt Borgna ein, “dann habe ich mich informiert, und dieses Buch verdankt sich der Begeisterung für die Reise und die Entdeckungen, die ich dank der Interviews während und nach der Reise gemacht habe.“ Die Neugier der Autorin hinterfragt die biologischen und historisch-kulturellen Gründe, weshalb wir eine positive Voreingenommenheit für das Licht haben, weshalb wir zu einem übermäßigen Gebrauch künstlicher Lichtquellen neigen, und schildert die unerwünschten Folgen auf die Verschwendung der Ressourcen, die menschliche Gesundheit und die Biodiversität der Ökosysteme.

Weltweit ist das Land mit dem höchsten Anteil an Lichtverschmutzung ausgerechnet Italien, das Heimatland der Autorin. Insbesondere die Poebene, wie wir in Cieli neri lesen können, “gehört zu den geblendetsten und blendendsten Gebieten des ganzen Planeten.“ Die Daten stammen aus dem Atlante mondiale dell’inquinamento luminoso von Pierantonio Cinzano und Fabio Falchi, der 2001 veröffentlicht und 2016 durch eine internationale Gruppe des Instituts für Wissenschaft und Technologie der Lichtverschmutzung (Istil) aktualisiert wurde.
Das Buch nimmt den Leser mit auf eine, oft auch persönliche, Bildungsreise in die Natur und lässt ihn die Folgen der Lichtverschmutzung nachspüren.
Die letzten sternklaren Himmel Europas

Die Karte des Lichtsmogs in Europa.

Es wird viel von Ökologie in diesen Jahren gesprochen, aber fast nie von Lichtverschmutzung. Weshalb wird sie unterschätzt? Vielleicht deshalb, weil wir sie im Rahmen des Klimawandels nicht richtig einordnen können?

Lichtverschmutzung fristet tatsächlich ein Schattendasein, da wir nicht alle ihre Auswirkungen kennen. Vielen scheint sie eine Kopfgeburt weltferner Hobbysterngucker, oder im Höchstfall ein Problem für Astronomen zu sein, die das künstliche Licht bei ihren wissenschaftlichen Beobachtungen stört. Aber dann entdeckt man, dass wir riesige Mengen an fossilen Brennstoffen zur Herstellung von Licht verbrauchen und es ohne Sinn und Verstand in den Himmel schießen; es wird einem klar, dass dies nicht nur unnütz, sondern auch schädlich ist – für uns und alle Tier- und Pflanzenarten. Ich habe allmählich verstanden, dass das Problem der Lichtverschmutzung tatsächlich kein zu vernachlässigendes Detail ist.

Dabei müsste man so wenig tun, um Lichtverschmutzung drastisch zu reduzieren, was im Gegensatz zu anderen Formen von Verschmutzungen bemerkenswerte Auswirkungen zeitigen würde. Aber zu seiner Bekämpfung mangelt es an Koordination. Nehmen wir zum Beispiel den Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2012 in Italien, die Operazione Cieli Bui, die eine riesige Einsparung in Energie und öffentlichen Geldern bewirkt hätte und einer Revolution gleichgekommen wäre, die man von heute auf morgen hätte machen können, während andere Formen des ökologischen Übergangs sich sehr viel langwieriger gestalten.
 
Die letzten sternklaren Himmel Europas

Der Himmel über den Alpen von Cuneo, im Hintergrund der Widerschein der Lichter der Stadt. Foto von Federico Pellegrino.

Es gibt tatschlich Reiseführer zu Sternenhimmeln. Meinst du, dass der Rückgriff auf den Tourismus und die ökonomische Aufwertung der Orte ein möglicher Weg ist, um die bestirnten Himmel zu bewahren, oder würde man damit andere Typen der Verschmutzung anstoßen?

Es kann Sinn machen, ist aber nicht die Lösung. Es ist ein bisschen wie mit den Naturparks: Ideal wäre, wenn es sie nicht geben müsste und sich alle richtig verhielten; aber in der Wirklichkeit errichten wir diese ökologischen Wallfahrtsorte, weil wir nicht in der Lage sind, ein ausgewogenes Verhältnis zur Umwelt zu haben. Daneben sind Naturparks große Kommunikationszentren, genau wie die Wallfahrtsorte des Dunklen, wie die Dark Sky Parks oder die Reserves der International Dark-Sky Association. Auch hier im Valle Grana, bei mir ganz in der Nähe, gibt es einen Hobbyastronomen, der sich dafür einsetzt, dass der Himmel über der Hochebene Altopiano della Gardetta, über die ich auch im Buch spreche, Weltkulturerbe der Unesco wird.

Diese Initiativen sind wichtig, weil sie Botschaften senden, um daran zu erinnern, dass der Himmel über unseren Köpfen kostbar ist. Ein echter Erfolg wäre jedoch, demokratisch gleich der gesamten Menschheit einen unberührteren Himmel zu schenken.
 
Die letzten sternklaren Himmel Europas

Im Naturpark Zirbitzkogel-Grebenzen, zwischen Steiermark und Kärnten, Österreich.


Wäre in juristischer Hinsicht die Verankerung eines Rechts auf Sternenhimmel (welches in der Universellen Erklärung der Menschenrechte der Zukünftigen Generationen von 1997 bereits de facto enthalten ist) nur eine Petitio Principii oder könnte sie sich in etwas Konkretes verwandeln?

Ich bin für das anything goes, alles ist gut, wenn es für die Sache ist. Die Erklärung ist nützlich und wichtig wie alle großen Erklärungen, die Geschichte gemacht und geprägt haben. Sie bewirken eine Bewusstwerdung auf globaler Ebene. Solange diese aber nicht wie nationale oder gar übernationale Gesetze bindend werden, bleiben sie Papiertiger.

Wenn man daran denkt, dass unser Himmel von einer Unmenge an Satelliten durchzogen wird, darunter einige von begüterten Privatleuten wie Elon Musk, und dass dieser Herr zum Teil entscheiden kann, wie unser Himmel in den nächsten Jahren aussehen wird, sollte man sich sagen: „Potztausend, vielleicht bräuchten wir doch eine internationale Konvention, die regelt, dass wir alle buchstäblich unter demselben Himmel leben.“ Aber wir brauchen bindende Gesetze, die beachtet werden müssen, ansonsten bleibt dies alles nur Makulatur.
 
Die letzten sternklaren Himmel Europas

Sternennacht über einer Berghütte.

Verlieren wir mit dem Sternenhimmel auch ein Stück unserer Seele?

Seit einem Monat leben ich an einem Ort, von dem aus ich das Minimum an 450 Sternen sehen kann, die man in den Worten des Astronomen Bob Berman mit dem Blick umarmen sollte, um das Wunder des Nachthimmels zu erleben. Und ich merke, dass es einen großen Unterschied macht. Wenn ich manchmal zu meinen Schülern spreche, fällt mir auf, dass einige noch nie einen solchen Himmel gesehen haben. Das erschreckt mich. Ich glaube nicht, dass es Studien gibt, nach denen ein Kind verblödet, weil es keinen bestirnten Himmel sieht, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es für uns alle wichtig ist. Wenn man die Erfahrung der Vereinigung mit etwas viel Größerem als man selbst einmal gemacht hat, dann fühlen wir uns vielleicht klein, aber gleichzeitig zu etwas zugehörig. Und genau das geschieht, wenn wir unter einem besternten Himmel liegen, der fast dreidimensional anmutet.