In ein paar Jahren jährt sich die Wiederentdeckung der
Vittoria Alata zum zweihundertsten Mal, eines der Symbole von Brescia, für deren Jubiläum sich der städtische Archäologiepark gut vorbereitet hat. Die Bronzestatue aus römischer Zeit, 1826 während Ausgrabungen im Park aufgefunden, wurde von 2018 bis 2020 vom renommierten Opificio delle Pietre Dure in Florenz restauriert, und ist seit einigen Monaten das Hauptstück des neuen
Ausstellungskonzepts im Ostteil des Capitolium (bzw. dem Kapitolinischen Tempel).
Die Statue der Vittoria Alata (Fotografisches Archiv der Museen von Brescia; Fotostudio Rapuzzi)
In Erwartung der kommenden Eröffnung beschreibt die der Statue gewidmete Website bereits das Erlebnis für die Besucher: „Man betritt die Cella durch den Seiteneingang und schaut in diagonalem Winkel auf die erhöht stehende Statue: Auf diese Weise ruht der Blick der Vittoria auf den Besuchern, es scheint, als würde sie uns beobachten.“ Der spanische Architekt
Juan Navarro Baldeweg, der den von iGuzzini beleuchteten Umbau realisierte, “bricht mit der Symmetrie, indem er die Vittoria auf der Diagonalen aufstellt, Sie empfängt ihr Licht von oben durch den erstmalig eingesetzten „Lampen-Mond“ von iGuzzini, der vorrangig als poetisches denn als technisches Objekt konzipiert wurde. Neben der Vittoria zeigt Baldeweg erstmals auch den bronzenen Rahmen der Statue [der zusammen mit ihr gefunden wurde, NDR] in einer gleichzeitig abstrakten wie monumentalen Komposition.“
Die neue Gestaltung der Museumsräume bietet auch Gelegenheit zur Reflexion, welche Funktionen das Licht zugunsten der Archäologie wahrnehmen kann. Wir stellen in unserem Interview zwei Standpunkte dazu vor: den Leiter der Stiftung Brescia Musei, Stefano Karadjov, und die Kuratorin der archäologischen Sammlungen der Städtischen Museen Brescia, Francesca Morandini.
MORANDINI – Dem Licht kommt eine vielfältige Rolle zu, denn auch die Archäologie besitzt ja viele Facetten: Von Monumenten in Außenbereichen zu archäologischen Stätten, über Fundstücke und Kunstwerke in Museumssälen. Und auch innerhalb der musealen Ausstellungen kann das Licht unterschiedlich eingesetzt werden und in einem archäologischen Werk verschiedene Details zur Geltung bringen. So muss ein Werk in der Dauerausstellung eines Museums vermutlich zusammen mit vielen, sehr verschiedenartigen Objekten illuminiert werden; aus Gründen der Nachhaltigkeit und der Lesbarkeit wird also eine „neutralere“ Beleuchtungsform gewählt. Wollen wir dagegen ein Werk in einer Sonderausstellung besonders akzentuieren, kommt dem Licht eine neue Rolle zu, da es einer anderen Narration folgt.
Die im Museum gezeigten römischen domus (Fotografisches Archiv der Museen von Brescia; Fotostudio Rapuzzi)
Another important and extremely delicate aspect is conservation. For example, inside this museum there is an archaeological area with two Roman houses that rest on their original earth base at the ground levels where they were found. The lights we had to use to illuminate them, therefore, had to be fitted with special filters that would halt the growth of vegetation. The light we use to illuminate the exhibit, therefore, also helps to conserve it.
There are also special lights that allow us to read marks that would otherwise be invisible. A few years ago, we conducted an experiment with Sincrotrone from Trieste. This involved marking certain precious exhibits with a special ink that can only be read by a special experimental light created by
Sincrotrone from Trieste. These codes, for example, allow us to stop items being counterfeited, without spoiling their readability, which would be the case if we used normal inks.
Links die Lampe, die die Fläche im Capitolium beleuchtet (Fotografisches Archiv der Museen von Brescia; Alessandra Chemollo)
KARADJOV – Der wissenschaftlichen Rolle des Lichts stelle ich die narrative an die Seite. Wenn man sich die Fortschritte im Exhibition Design ansieht, dann sind wir, denke ich, am Beginn einer neuen Art und Weise, den Genuss von Kulturstätten zu steigern, so dass sich die Ansicht einer archäologischen Stätte nicht mehr von der einer Aufführung unterscheidet. In der bühnentechnischen Dimension des Ausstellungskonzepts kommt dem Licht eine Königsrolle zu, weil es die Art und Weise und die Zeiten des Kunstgenusses bestimmt.
Im Fall der Aula des Capitolium, in der Gestaltung des Architekten Juan Navarro Baldeweg, haben wir die „Aufführung“ in drei Szenarien aufgebaut, die wir dem Publikum mit unterschiedlichen Zielstellungen unterbreiten. Das erste ist archäologischer Natur und verfolgt den Zweck, eine Beleuchtung zu realisieren, die so einheitlich wie möglich ist, um die Funde und die Ausstellungsgestaltung zur Geltung zu bringen. Das zweite Szenario ist dramatischer, hier geht es um den „atmosphärischen“ Kunstgenuss im Sinne der Vision Baldewegs, mit kaltem Licht und Schatten, um die Dramatik bei Sonnenuntergang noch zu steigern. Auch wenn die Statue im geschlossenen Raum steht, zielt dieses Szenario darauf, ihre ursprüngliche Aufstellung im Freien zu evozieren. Drittens und abschließend das nächtliche Szenario: Hier wird allein die Statue illuminiert, während an der Seitenwand ein Lichtpunkt von ca. 1 Meter Durchmesser erscheint, der sich als „Geist“ des Schildes herausschält, das die Skulptur einst trug und in dem der Name der antiken Stadt
Brixia eingehauen war. Der Schild wurde allerdings nie aufgefunden, so dass das Licht sein Fehlen ausgleicht; es ist stets sichtbar, aber im nächtlichen Szenario schält es sich noch deutlicher heraus.
Ansicht einer archäologischen Stätte nicht mehr von der einer Aufführung unterscheidet. In der bühnentechnischen Dimension des Ausstellungskonzepts kommt dem Licht eine Königsrolle zu, weil es die Art und Weise und die Zeiten des Kunstgenusses bestimmt.
Rechts der „Geist“ des Schildes (Fotografisches Archiv Museen von Brescia; Alessandra Chemollo)
Wenn die spektakuläre Beleuchtung eine Neuheit ist, kann es dann nicht gefährlich sein, sie zur Mode werden zu lassen und so das Leben der Ausstellungskonzepte zu verkürzen?
K – Dies wird auch unabhängig von der Beleuchtung geschehen: Wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, hängt auch die Wahrnehmung der Überholtheit von Ausstellungskonzepten vom kulturellen Hintergrund des Betrachters und seiner Erfahrung mit anderen kulturellen und archäologischen Stätten, Medien und pervasiven Technologien ab. Das Licht fügt der Obsoletheit dessen, das bereits für unsere Sinneserfahrungen überholt anmutet, nichts hinzu. Wir müssen daher immer mehr perzeptive Ausstellungskonzepte realisieren, die den ästhetischen und Erfahrungskonzepten der Besucher entsprechen, bereit zu Veränderungen sein, und etwa die drei Lichtszenarien der Vittoria Alata in Zukunft durch einen Mood unterstützen, den wir heute noch nicht vorhersehen. Das gleiche Schicksal haben schon die Plexiglas-Würfel mit den Beschreibungen der einzelnen ausgestellten Fundstücke erlitten: Dieses System entsprach den Funktionskriterien in den 70er und 80er Jahren, heute erscheint es uns überholt, weil sich unsere Wahrnehmung entwickelt hat. Natürlich können sie ihrer Funktion auch heute noch entsprechen, aber die Museen mussten ihre Ausdrucksweise gegenüber dem Publikum verändern. Dem Licht ergeht es genauso, denn es ist immateriell, aber dennoch sehr raumgreifend in perzeptiver Hinsicht.
M – Jedes Ausstellungskonzept reflektiert die Mode der Zeit, denn wir alle sind von einer kollektiven Vision durchdrungen, aber dennoch versuchen wir, Elemente zu ermitteln, die die Kurzfristigkeit überbrücken. Heute sind wir in der Lage, die Vittoria Alata in drei Lichtszenarien darzubieten, aber das System hält weitere hunderte von ihnen bereit: Wir können also getrost davon ausgehen, dass die Lichtanlage uns auch im Wandel der Moden unterstützt und dass wir dem gewandelten Geschmack durch neue Szenarien Rechnung tragen können.
Im Hintergrund die Bronzerahmen, die zusammen mit der Statue 1826 aufgefunden wurden (Fotografisches Archiv der Museen von Brescia, Alessandra Chemollo)
In archäologischen Museen sind Funde aus unterschiedlichen Materialien ausgestellt: Erschwert diese Verschiedenartigkeit das Auffinden der richtigen Beleuchtung?
M – Wenn man sich die Abfolge von Werken in einem Museum vorstellt, entspricht sie einem logischen Aufbau, dem roten Faden einer Erzählung anstatt der Einheitlichkeit der Materialien. Das Problem stellt sich also hier nicht. Manchmal muss man jedoch in einem Saal eine Bronze, eine Terrakotta und ein Glas illuminieren, die ganz andere Anforderungen aufweisen. Im Hinblick auf die Vittoria Alata ist Metall das am schwierigsten zu illuminierende Material überhaupt: Es blendet und nimmt seinen Nachbarn Licht weg. Es ist also viel Balance nötig. Wir haben verschiedene Versuche am Standort durchgeführt, einmal die Intensität der Farbtemperatur geändert, um Akzentelemente und gleichzeitig die Gesamtlesbarkeit des Werkes zu erzielen. Im Saal der Vittoria empfinde ich den Kontrast zwischen der Statue und der - wenn auch vibrierenden - Mattheit der Ziegelwände erstaunlich, ein Kontrast, der beide Materialien herausarbeitet.
K – Das Endresultat der Beleuchtung der Aula ist nicht zuletzt der Bravur der Techniker von iGuzzini geschuldet. Diese mussten einplanen, dass die Bronze in ihrer restaurierten Fassung mehr Licht als vorher absorbierte, so dass die Vorstellung des Architekten neu parametriert werden und einige weitere Beleuchtungskörper eingegliedert wurden, die tatsächlich eine optimale Lesbarkeit des Werkes ermöglichen.